So wie Selbstmitgefühl zur Achtsamkeitspraxis gehört, ist Achtsamkeit Teil des Selbstmitgefühls. Die Achtsamkeit befähigt uns, schmerzhafte Gedanken und Gefühle mit Gleichmut anzunehmen, sie als dazugehörig zu unserem Leben zu empfinden. Wenn wir Schmerz erfahren, unglücklich sind oder Fehler gemacht haben, neigen wir dazu, uns in unserem Leid auch noch zu isolieren und selbstkritisch und streng mit uns umzugehen. Wir bleiben eher verhaftet in dem Schmerz durch wiederkehrende Selbstkritik und Selbstbestrafung durch vernichtende Sätze wie „das hätte ich doch wissen müssen“ oder „wie konnte ich nur so dumm sein“ oder „das wäre mir nicht passiert, wenn…“.

Wir können zunehmend erkennen, dass wir es verdient haben, glücklich zu sein und uns mitfühlend in unserem Schmerz zu begegnen, anerkennen, dass da Schmerz ist und etwas weh tut. Auf der körperlichen Ebene ist das Selbstmitgefühl vergleichbar mit einer Wunde, die nach einer Verletzung sorgfältig gesäubert und verbunden wird.

Wenn uns ein Missgeschick oder ein Unglück widerfährt, neigen wir gewöhnlich zu drei Reaktionen: Selbstkritik, Selbstisolation und Selbstbezogenheit.

Kristin Neffs drei Elemente des Selbstmitgefühls weisen uns in die entgegengesetzte Richtung: Freundlichkeit gegenüber uns selbst, die Erkenntnis, dass alle Menschen diese Erfahrung miteinander teilen und zu einem gelassenen Umgang mit unangenehmen Gefühlen.

Wieso reagieren wir so kritisch und streng?

Eine Erklärung könnte sein, dass wir bei Gefahr mit einer der drei instinktiven Möglichkeiten reagieren, die wir evolutionsbiologisch immer schon angewandt haben: Kampf, Flucht oder Erstarrung.

Diese drei Strategien helfen uns, physisch zu überleben. Wenden wir sie jedoch auf der mentalen oder emotionalen Ebene an, bekommen wir Probleme, weil wir diese Reaktionen nicht mehr zum Überleben benötigen.

Wenn da kein Feind ist, gegen den wir uns verteidigen müssen, wenden wir uns gegen uns selbst. „Kampf“ wird zur Selbstkritik, „Flucht“ zur Selbstisolation und „Erstarrung“ zur Selbstbezogenheit. Wir schließen uns im Gefängnis unserer eigenen Gedankenwelt ein.

Wenn wir im Selbstmitgefühlsmodus sind, was bedeutet, dass wir uns liebevoll und freundlich begegnen, wir uns um uns selbst kümmern, wird das Hormon Oxytocin freigesetzt, das die teils zerstörerischen Auswirkungen auf die Kampf- oder Fluchtreaktionen abfedert. Wir können durch die Reaktion auf Stress „Tend and befriend“ (sich kümmern und behilflich sein), die eigene seelische Widerstandskraft entwickeln und beeinflussen, uns selbst mit Freundlichkeit anstatt mit Kritik motivieren, Selbstwertschätzung üben und das Bewusstsein für den Moment vergrößern.